„Wir dürfen niemanden vergessen“

Mehrere Bremer Organisationen haben inzwischen ihre Beteiligung an der Bremer Ausgabe des Weltflüchtlingstags zugesagt. Doch wie kam es überhaupt dazu? Im Interview erzählen Klaus Platz und Gertrud Fehsenfeld aus dem Organisationsteam (Bündnis Weltflüchtlingstag), wie die Idee zu der Veranstaltung entstanden ist, was sie selbst mit dem Thema Flucht verbinden und was die Besucher am 18./19. Juni 2022 erwartet.

Gertrud Fehsenfeld von der Ev. Kirchengemeinde Arsten-Habenhausen und Klaus Platz vom Bündnis Weltflüchtlingstag.

Was wollt ihr mit der Veranstaltung erreichen?

Klaus Platz: Der ursprüngliche Ansatz dieser Veranstaltung war, die Zivilgesellschaft wieder mehr für das Thema Flucht zu sensibilisieren. Nachdem 2015/2016 eine Welle der Hilfsbereitschaft durch unser Land ging, hat das zumindest in Bezug auf die Geflüchteten aus dem Mittelmeer in den vergangenen Jahren nachgelassen. Während unserer Planungen kam es zu dem russischen Angriff auf die Ukraine, was den Weltflüchtlingstag aktueller denn je werden lässt und der entsprechend Einfluss auf unsere Vorbereitungen genommen hat. Dennoch wollen wir an beiden Tagen darauf aufmerksam machen, dass sich momentan an vielen Orten auf der Welt Menschen weiterhin zur Flucht gezwungen fühlen. Es darf keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse geben, wir dürfen niemanden vergessen. Die Teilnehmenden sollen sich an dem Wochenende begegnen und in den Austausch über dieses wichtige Thema gelangen.

Was erwartet die Besucherinnen und Besucher am 18./19. Juni?

Klaus Platz: Wir wollen möglichst verschiedene Bereiche abdecken, sodass für jeden etwas dabei ist. Mehrere Bremer Organisationen und Initiativen haben bereits ihre Beteiligung zugesagt. Als Veranstaltungsort haben wir das Gelände der Ev. Kirchengemeinde Arsten-Habenhausen gewählt, weil dort eine deutschlandweit einzigartige Gedenkstätte für Menschen, die auf der Flucht gestorben sind, steht. Es finden zahlreiche Aktivitäten aus den Bereichen Kultur, Gedenken, Politik und Sport statt. So werden etwa Fluchtgeschichten vorgetragen, es gibt Lesungen, Musikbeiträge, Podiumsdiskussionen mit Politikern und Experten und ein großes Fußballturnier auf dem benachbarten Sportplatz. An einem Food-Court mit Speisen aus unterschiedlichen Ländern können die Besucherinnen und Besucher kulinarisch auf Entdeckungsreise gehen.

Gertrud Fehsenfeld: Wir werden an dem Wochenende das gesamte Gelände, inklusive der Kirche nutzen. Die Kirche wird vielseitig genutzt, dort werden Lesungen und Diskussionsrunden stattfinden. Am Sonntag gestaltet Pastor Christian Schulken zusammen mit anderen Teilnehmenden einen Gottesdienst zum Thema Flucht. Im Gemeindehaus zeigt der Bremer Künstler Peter KF Krüger Acrylmalereien, die sich mit der Fluchtroute Mittelmeer auseinandersetzen. Zugunsten der Flüchtlingshilfe findet eine Bildversteigerung statt. Draußen wird neben dem Food-Court auch Platz für Infostände verschiedener Organisationen und weiteren Programmpunkten sein. Wir hoffen, dass das Wetter entsprechend mitspielt.

Warum ist es euch ein Anliegen, auf das Thema Flucht aufmerksam zu machen und was verbindet ihr ganz persönlich damit?

Gertrud Fehsenfeld: 1992 gab es in Deutschland vermehrt Fremdenfeindlichkeit und es brannten Flüchtlingsheime. Da sich auch in unserer Gemeinde eine Flüchtlingsunterkunft befand, startete die Ev. Kirchengemeinde Arsten-Habenhausen einen Aufruf für eine Willkommensinitiative, der ich mich angeschlossen habe. Wir haben den Arbeitskreis Asyl gegründet, um ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen und Geflüchtete willkommen zu heißen. Wir richteten ein Willkommens-Café im Wohnheim ein, boten erste Deutschkurse und verschiedene Freizeitaktivitäten an. Unsere Angebote verändern sich immer wieder, je nach Situation und Bedarf. Momentan unterstützen wir in einer Vorklasse an der Schule Habenhausen und betreuen Geflüchtete aus der Ukraine, die bei uns im Gemeindehaus untergekommen sind. Einige Menschen begleiten wir mitunter jahrelang und aus diesen Begegnungen ist bereits die ein oder andere Freundschaft entstanden. Ich habe noch aus jeder Epoche Kontakt zu Menschen, die nach Bremen gekommen sind.  

Wie ist das bei dir Klaus?

Klaus Platz: Als 2015 unheimlich viele Schutzsuchende in Europa ankamen, habe ich angefangen, mich zu engagieren. Da gab es beispielsweise ein Zeltlager für junge Flüchtlinge aus Syrien und Westafrika in der Vahr, und mit Freunden und Unterstützern haben wir diese jungen Menschen regelmäßig in den Lür-Kropp-Hof zum Essen, Spielen und Kennenlernen eingeladen. Darüber bin ich auch in Kontakt mit Gerd Knoop gekommen, der zu den Gründungsmitgliedern der Seenotrettungsorganisation SOS Mediterranee Deutschland (heute SOS Humanity) gehört und mich auf das Sterben im Mittelmeer aufmerksam machte. Es folgte eine enge Zusammenarbeit mit SOS Mediterranee. Ihr Gründer, der Berliner Kapitän Klaus Vogel, war beispielsweise beim Kapitänstag im Bremer Rathaus zu Gast und wir haben ein Benefizdinner zugunsten der Organisation veranstaltet.

Dein Engagement ging so weit, dass du Ende 2016 selbst knapp drei Wochen an Bord der „Aquarius“ mitgefahren bist. Wie hast du den Einsatz im Mittelmeer erlebt?

Klaus Platz: Der Aufenthalt an Bord der „Aquarius“ hat mich nachhaltig verändert. Ich war mir vorab nicht sicher, ob ich als knapp 80-Jähriger dieser Reise gewachsen bin. Ursprünglich war geplant, dass ich mich größtenteils beim Kapitän aufhalte – das hat zunächst auch gut funktioniert, bis wir eine dramatische Rettung erleben mussten, bei der eine Massenpanik ausgebrochen ist und ich dabei zusehen musste, wie Frauen, Männer und Kinder im Wasser um ihr Überleben kämpften. Den Crewmitgliedern gelang es zum Glück, alle Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Von da an wollte ich im Rahmen meiner Möglichkeiten irgendwie helfen und habe beispielsweise bei der Essensausgabe unterstützt.

Was ist dir von dieser Zeit noch besonders in Erinnerung geblieben?

Klaus Platz: Es gab viele bewegende Situationen, an die ich mich für immer erinnern werde. Die Narben von Folter und Gewalt, oder die Verbrennungen, die die Geretteten durch das ätzende Gemisch aus Salzwasser und Benzin davontragen mussten, haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Man sollte sich immer vor Augen führen, dass sich kein Mensch auf eine solche Flucht begeben würde, wenn er dafür nicht elementare Gründe hätte. Ich erinnere mich aber ebenso an bewegende Momente, die von ganz viel Hoffnung geprägt waren. Einige Zeit nach der Rettung wurde Musik aus einem Radio gespielt und einige der Frauen und Mädchen fingen an zu singen und zu tanzen und das, obwohl sie gerade erst der Hölle in Libyen entkommen waren. Das hat mich tief bewegt und die ganze Thematik rund um das Mittelmeer hat mich seitdem nicht losgelassen.

Gertrud, wie Klaus anfangs schon erwähnt hat, steht auf dem Gelände eurer Gemeinde eine Gedenkstätte für Menschen, die auf der Flucht nach Europa ums Leben gekommen sind. Kannst du etwas mehr darüber erzählen?

Gertrud Fehsenfeld: Als so viele Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, hat sich unser Arbeitskreis mit der Frage auseinandergesetzt, wer unabhängig von den Angehörigen eigentlich um diejenigen trauert, die auf der Flucht sterben. Oftmals gibt es leider nur kleine Meldungen in der Zeitung, die häufig schnell wieder in Vergessenheit geraten. Wir wollten deshalb einen Ort schaffen, an dem man sich an sie erinnern kann. Die Skulptur wurde 2018 im Auftrag der Gemeinde von dem Bremer Bildhauer Klaus Effern auf dem Arster Kirchhof neben dem Gedenkkreuz für die Toten der Weltkriege installiert. Sie erinnert in der Gestaltung an die Wellen des Meeres und die Sanddünen der Wüsten. Alle zwei Monate versammeln wir uns am Gedenkstein zu einem Gebet für Geflüchtete. Während der Andacht werden Schicksale von Betroffenen erzählt, die den Weg nach Europa nicht geschafft haben.

Ihr plant die Veranstaltung zusammen mit mehreren Bremer Organisationen und Freiwilligen, die euch ehrenamtlich unterstützen. Gibt es noch die Möglichkeit, sich an dem Wochenende einzubringen?

Klaus Platz: Wir sind über jede Hilfe dankbar, denn ein ganzes Wochenende mit Programm erfordert unheimlich viel Organisation und Einsatz. Das betrifft die inhaltlichen Beiträge genauso wie die Freiwilligen, die beim Aufbau oder der Essens- und Getränkeausgabe unterstützen. Wer also Lust hat, sich einzubringen, darf sich sehr gerne bei uns melden und zu unseren Planungsrunden dazustoßen.

Das Gespräch führte Kristin Hermann.

Zu den Personen

Klaus Platz: Klaus Platz ist 84 Jahre alt und prägte über sechs Jahrzehnte die Bremer Logistikszene mit, unter anderem als geschäftsführender Gesellschafter bei Ipsen Logistics. Parallel dazu war er 31 Jahre im Aufsichtsrat der DBH Logistics IT AG. Platz war zudem jahrelang Geschäftsführer und im Vorstand der Bremischen Hafenvertretung (BHV), die sich für die Interessen der maritimen Wirtschaft in Bremerhaven und Bremen einsetzt.

Gertrud Fehsenfeld: Gertrud Fehsenfeld ist 69 Jahre alt und engagiert sich seit 1992 in der Ev. Kirchengemeinde Arsten Habenhausen im Team mit anderen für Geflüchtete.

Weitere Informationen zu dem Weltflüchtlingstag 2022 finden Sie hier:
https://www.bremen-ist-bunt.de/event/weltfluechtlingstag/

Kontakt zum Organisationsteam unter:

Klaus Platz: E-Mail: klaus.platz@nord-com.net, Telefon: 0172 42 05 551

Gerd Knoop: E-Mail: hgknoop@kbl-shipping.de, Telefon: 0172 40 13 416

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